Mit der Schließung der Kindertagesstätten im März und der Einführung einer Notbetreuung gab es für unsere Erzieher*innen mit einmal viel Zeit für die Dinge, die sonst immer zu kurz kommen: Bildungs- und Lerngeschichten schreiben, an den Portfolios der Kinder arbeiten, Konzepte entwickeln, ….

Gleichzeitig besannen wir als AWO uns auf die eigenen Werte, in denen auch der Gedanke der Solidarität fest verwurzelt ist. Auf die Umfrage, welche Mitarbeiter*innen sich vorstellen können, in einem unserer beiden Pflegeheime zu helfen, gab es sehr viel positive Resonanz. Seit Mitte April waren insgesamt 20 Kolleg*innen aus dem Fachbereich Kinder, Jugend und Familie im Einsatz und unterstützten die Mitarbeiter*innen im Heim in der Betreuung und in der Hauswirtschaft. Eine von Ihnen ist Ulla Schöneich. Eigentlich ist sie Erzieherin in unserem Naturkinderhaus „Spatzennest“. Drei Wochen hat sie in unserem Pflegeheim „Willy-Brandt-Haus“ geholfen.


Statt Homeoffice Hilfe im Pflegeheim - Auszüge aus dem Tagebuch von Ulla Schöneich

1. Tag

Wir treffen uns 8.30 Uhr am Eingang des Pflegeheims „Willy-Brandt-Haus“ und werden von Frau Hengst freundlich begrüßt und als erstes mit einem Mundschutz versorgt. Nichts leichter als das: Mundschutz über den Mund und die Nase ziehen, einmal Luft holen und… meine Brille ist beschlagen! Wie soll ich das 4 Stunden aushalten, denn ohne Brille sehe ich nichts!

Nun geht es zur Belehrung und dem Umkleiden. Die Sachen sind von Kolleg*innen gespendet, bleiben im Heim und werden dort gewaschen. Das Oberteil in der Größe XL passt, aber es gibt leider keine Hose dazu und in die Größe L passe ich nicht. Bloß gut, ich hatte vorsorglich eine Ersatzhose mitgenommen. Mit Mundschutz und Handdesinfektion geht es auf die Station.

Ich hatte mich für die Hauswirtschaft gemeldet und werde auch gleich freundlich empfangen. Los geht es mit der kleinen Saftrunde. Kann nicht so schwer sein, doch Saft, Buttermilch, stilles Wasser oder Sprudel will und soll an den richtigen Mann oder die richtige Frau verteilt werden. Ich bewundere meine Kollegin, wie sie sich das alles merken kann. Danach Flaschen und Tassen spülen, Geschirr aus der Küche holen, die Wagen für das Mittagessen vorbereiten. Auch hier wieder: wer bekommt Breikost, wer braucht das Fleisch geschnitten, wer isst Kartoffelbrei dazu, wer darf kein Sauerkraut essen, wer bekommt Messer und Gabel und wer hat heute welches Essen bestellt? Ich darf den Tee und das Kompott verteilen und freue mich über das freundliche Danke der Bewohner.

Doch noch gibt es keine Pause. Nachdem auch der letzte Bewohner der Station 4 mit dem Essen versorgt ist, heißt es schon wieder in den ersten Zimmern abräumen, denn das Geschirr soll bis 13 Uhr zum Abwasch in der großen Küche sein. So laufe ich also wieder durch die Gänge, schaue in die Zimmer und sammle das Geschirr ein. Bloß gut, dass auch die Pflegkräfte mit helfen. Doch die Arbeit ist noch nicht fertig. Nun müssen am Automaten die Wasserflaschen für die Spätschicht gefüllt werden, ein Knopf für stilles Wasser, ein Knopf für Sprudel. Mir wird erklärt, am besten die Flaschen im Wechsel zu befüllen. Verflixt hatte ich jetzt die Sprudeltaste oder doch nicht? Nach 4 Stunden tun mir die Füße weh und ich bin froh, dass ich nach Hause gehen kann.

2. Tag

Wir haben uns auf der Station abgesprochen, dass ich von 10-14 Uhr arbeite.

Heute müssen wir die große Saftrunde drehen, dass dauert natürlich länger. Dann wieder Geschirr aus der Küche holen, die Wagen vorbereiten, zwischendurch die Flaschen und Tassen spülen und dann jedem das richtige Essen freundlich servieren. Langsam kenne ich die Abläufe und wir schaffen es fast pünktlich das Geschirr zum Aufwaschen in die Küche zu bringen.

3. Tag

Heute traue ich mir nun langsam zu, die kleine Saftrunde allein zu drehen. Doch wie war das noch: Wer bekommt die Buttermilch, wer stilles Wasser, wer nur eine halbe Tasse zu trinken? Ich frage mich durch und am Ende sind irgendwie alle zufrieden, ich auch. Nun wird wieder das Mittagessen vorbereitet und langsam fühle ich mich nützlich. Die Eigenheiten und Vorlieben der Bewohner lerne ich auch immer mehr kennen und dann habe ich sogar noch etwas Zeit, eine Runde Rommé zu spielen, bevor ich nach Hause gehe.

4. Tag

Freitag! Irgendwie ist das heute nicht mein Tag. Bei der Saftrunde verschütte ich die Buttermilch auf mich und den Fußboden, bei der Mittagsrunde fahr ich mit dem Wagen zu scharf um die Kurve und der Saftkrug fällt runter. Da hilft nur wischen, wischen. Doch dann gibt es doch noch was zum Lachen.

Auf dem Speiseplan steht an diesem Tag Kartoffelbrei und Brathering. Ich werde von einem Bewohner gefragt, was es zu essen gibt und antworte darauf -Fisch! Seine Reaktion-„ Fisch esse ich nicht!“ Wir schauen in die Liste und erklären ihm, dass er aber Kartoffelbrei und Brathering bestellt hat. Seine Antwort: „Ja, Brathering esse ich!“

2. Woche

Ich freue mich auf die kleine Saftrunde und das kurze Gespräch mit den Bewohnern. Trotzdem muss ich noch viel fragen, doch ich bekomme immer eine freundliche Antwort. Auch die Mittagsrunde geht nun flotter. Langsam kenne ich die Namen der Bewohner und finde wieder etwas Zeit für die Rommérunde.

3.Woche

Der Montag läuft normal und ich fühle mich gebraucht und nützlich. Dienstag… Mist, der Geschirrspüler ist kaputt und wird erst am Donnerstag repariert! Das bedeutet Tassen, Besteck und Flaschen mit der Hand spülen. Meine Hände brauchen danach dringend eine Handcreme. Doch irgendwie schaffen wir das doch noch pünktlich und ich kann vor meinem Feierabend noch zur Rommérunde.

Freitag: Heute ist mein letzter Tag im Wohnbereich 4. Etwas Wehmut kommt bei mir auf, als ich meine letzte Saftrunde drehe und nun langsam weiß, wer was bekommt.

Auch beim Austeilen vom Mittagessen bin ich etwas traurig und freue mich gleichzeitig über die Dankbarkeit und die vielen freundlichen Gesichter der Bewohner. Heute gibt es keine Rommérunde, aber dafür spiele ich noch mit einem Bewohner „Mensch ärgere dich nicht!“ Ich habe zwar 2 Mal verloren, aber die Erlebnisse in den 3 Wochen Hilfe im Pflegeheim waren ein Gewinn für mich!

Ich danke ALLEN für ihre Freundlichkeit und Hilfe.
Ulla Schöneich