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21.03.2017 | Offener Brief an das Sächsische Staatsministerium für Kultus
Bereits im Dezember vergangenen Jahres hat AWO-Geschäftsführer Jürgen Tautz einen Offenen Brief an Staatsministerin Brunhild Kurth geschrieben. Die Antwort darauf erreichte uns Ende Januar und war für uns nicht zufriedenstellend: zwischen den Zeilen fand sich nicht das kleinste Verständnis. Stattdessen enthielt der Brief die üblichen Phrasen. Aber das ist kein Grund für uns, den Kopf hängen zu lassen!
Wir haben einfach am 21. März einen neuen Brief geschickt, in dem noch einmal mit Nachdruck auf die Konsequenzen der jetzigen Rahmenbedingungen hingewiesen wird. Das Schreiben haben neben dem Geschäftsführer alle Kita- und Hortleiter*innen unseres Kreisverbandes unterschrieben sowie die Mitarbeiterinnen der Fachberatung. Nun sind wir gespannt, ob die Sorgen dieser 18 Personen ernst genommen werden und wie die Reaktion ausfällt.
Nachfolgend der Inhalt des Briefes:
Betreff: „Handlungsleitlinien für Kinderschutzkonzepte zur Prävention und Intervention in Kindertageseinrichtungen“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Kurth,
dieses Schreiben ist eine Überlastungsanzeige aus den Kitas. Unser Träger leistet viel für uns, unsere Teams arbeiten hart an Veränderungen.
Dieser Brief soll möglichst viele Verantwortlichen erreichen. Wir möchten uns Gehör verschaffen bei denen, die Entscheidungen über unser Wohl und Wehe, in dem von uns täglich mit Hingabe ausgefüllten Beruf, treffen!
Das oben erwähnte Papier stellt den präventiven Kinderschutz heraus und beschreibt Methoden und Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, Grenzverletzungen und Übergriffe von pädagogischen Fachkräften gegenüber Kindern vorzubeugen.
Wir sind davon überzeugt, dass die Methoden zu einer noch größeren Handlungssicherheit von pädagogischen Fachkräften führen können, und werden in unseren jeweiligen Verantwortungsbereichen dafür Sorge tragen, dass die Handlungsleitlinien umgesetzt werden.
Jede pädagogische Fachkraft steht in der Verantwortung für ihr Handeln und damit auch in der Eigenverantwortung, grenzüberschreitendes Verhalten zu vermeiden.
Kindeswohlgefährdung in Einrichtungen hat jedoch viele Risikofaktoren. In den Handlungsleitlinien sind deshalb auch (richtigerweise) Leiterinnen und Träger von Kindertagesstätten benannt, die im Prozess maßgeblich dazu beitragen können, den Kinderschutz und die Sicherung der Rechte der Kinder umzusetzen.
Doch als Vertreter der Praxis müssen wir die Frage stellen: Wie nehmen sich das Kultusministerium, das Landesjugendamt und die Regierungskoalition der SPD und CDU selbst in die Verantwortung?
Es besteht ein Zusammenhang zwischen Überforderung und der Gefährdung von Kindeswohl in Kindertageseinrichtungen! Die Gefährdung entwickelt sich vor allem aus einer langanhaltenden Überlastung pädagogischer Fachkräfte heraus, die aus eigener Kraft und mit Unterstützung von Leiterinnen und Trägern von Kindertagesstätten allein nicht mehr aufzuhalten ist!
Aber statt mit spürbaren Maßnahmen auf den Druck und die Belastung zu reagieren, verweist die Arbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter auf die Verantwortung pädagogischer Fachkräfte. Es wird somit von Seiten der Verwaltung verlangt, kindeswohlgefährdendes Verhalten abzustellen, ohne dass die Verantwortlichen in der sächsischen Landesregierung die dafür notwendigen Voraussetzungen schaffen.
Die Verantwortung für ihr Handeln haben pädagogische Fachkräfte seit jeher, halten aber dem Druck durch die schlechten Rahmenbedingungen nicht immer stand!
Ohne wirksame Veränderungen in den Strukturen von Kindertageseinrichtungen wird der Druck durch den Freistaat erhöht und die mit Kindeswohlgefährdung verbundenen Risikofaktoren eher noch verstärkt!
Dieser Kreislauf muss aufgehalten werden! Wir rufen hiermit alle Entscheider in Verwaltung und Politik auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden!
Wir begegnen täglich Handlungen in den Kitas, die ihre Ursache in einer Überforderung des pädagogischen Personals haben. Erzieher und Leiter sind Einzelkämpfer, die den Mangel verwalten. Die kleinen Anzeichen der Überforderung des pädagogischen Personals im Alltag, wie sie in den Handlungsleitlinien beschrieben sind, sind gefährlich und gefährden das Kindeswohl (Bsp. Tonfall, harsche Ansprachen, Ungeduld, herrisches Auftreten usw.). Eine gute Förderung des einzelnen Kindes findet häufig nicht statt. Wenn die Rahmenbedingungen so bleiben, werden über kurz oder lang auch Konzepte zur Sicherung des Kindeswohls und der Rechte der Kinder dieser Überforderung nicht entgegenwirken! Auch arbeitsrechtliche Maßnahmen mindern keinesfalls den Druck auf pädagogisches Personal!
Wir legen die Hand für unsere Pädagoginnen und Pädagogen ins Feuer, dass sie nicht mutwillig oder gar bösartig übergriffig, herabwürdigend, ignorant oder lieblos handeln.
Es sind die äußeren Umstände, die dazu führen, dass Erzieher und Leiter überfordert sind und möglicherweise kindeswohlgefährdend reagieren.
Die Ursachen sind bekannt:
- Wir haben zu viele Kinder für zu wenige Erzieher.
- Es fehlt uns an bezahlter Vor- und Nachbereitungszeit.
- Wir können keine Teamberatungen und Elterngespräche während der Dienstzeit planen, da nur die Zeit am Kind in der Personalberechnung finanziert wird.
- Ein fachlicher Austausch ist nur selten möglich, aufgrund fehlender „kind – freier“ Zeiten am Tag. Daraus folgt, dass der Erzieher Einzelkämpfer bleibt, Situationen unreflektiert fortbestehen und Maßnahmen von Seiten des Trägers nur noch als „Feuerlöscher“ fungieren können.
- Unser Arbeitsfeld braucht ständigen Fachaustausch und gemeinsame Erarbeitung von Konzepten. Dafür brauchen wir Zeit; bezahlte Zeit, die nicht von den Zeiten „am Kind“ weggenommen werden darf!
- Auch fehlt es uns an bezahlten Weiterbildungszeiten und zwar trotz der Freistellung durch den Arbeitgeber für 5 Weiterbildungstage im Jahr. Diese Zeit muss nämlich bisher von der Zeit „am Kind“ weggenommen werden. Daraus folgt eine höhere Belastung der anderen Kollegen, wenn eine Erzieherin zur Weiterbildung ist.
Wir arbeiten in einem Teufelskreis: Die hohe Belastung des Personal führt zu hohem krankheitsbedingten Ausfall, dies führt zu hoher Belastung des Personals…
Die Leiter sind häufig Springer in der Kita und decken Gruppendienste ab. Damit bleiben viele organisatorische Dinge auf der Strecke; werden in Überstunden oder in der Freizeit abgearbeitet. Durch den häufigen Personalausfall entsteht nicht selten ein Schlüssel von 1:19 für Kinder im Alter von 2 bis 6 Jahren!
Was braucht es also aus unserer Sicht?
Zuerst einmal eine Absenkung des Betreuungsschlüssels auf die seit 2009 (!) bekannten Forderungen der Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtpflege in Sachsen auf 1:4 für Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren; 1:10 für Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren und 1:16 für Kinder im Alter von 7 bis 10 Jahren.
Wir brauchen dringend bezahlte Vor- und Nachbereitungszeiten. Diese umfassen neben der Beobachtung und Bildungsplanung auch die Reflexion von individuellen Bildungs- und Lernprozessen, die schriftliche Dokumentation der Bildungs- und Gruppenprozesse, den kollegialen Austausch, die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Elterngesprächen, sowie Dienstberatungen, pädagogische Beratungen, Weiterbildungen, Elternabende, Elternbildung usw.
Wir brauchen die Zeit und die nötigen finanziellen Mittel für Supervision und Coaching in den Teams.
Und nicht zuletzt einen höheren Leitungsanteil in der Personalberechnung für Verwaltungstätigkeiten.
Wir fordern, dass der Freistaat Sachsen endlich die Verantwortung für die eigentliche Ursachenbekämpfung übernimmt und die Kita – Teams entlastet!
Um den gerechtfertigten und von uns wohlwollend aufgenommenen Forderungen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe nachkommen zu können, braucht es eine drastische Verbesserung der Rahmenbedingungen, unter denen Kita – Arbeit qualitativ hochwertig erst möglich wäre. So lang unsere Erzieher und Leiter unter selbstausbeuterischen Bedingungen arbeiten müssen, wird der Kinderschutz in den Einrichtungen, so wie wir ihn verstehen, nie gewährleistet sein. Von einer optimalen individuellen Förderung des Kindes, wie es der Gesetzgeber verlangt, sind wir noch meilenweit entfernt.
Wir fordern mehr Zeit für unsere Kinder!
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