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23. April 2020 | Kitas sind systemrelevant
Voraussetzungen für die (weitere) Öffnung von Kindertageseinrichtungen
Kitas sind systemrelevant! In welchem Maße zeigt die aktuelle Diskussion um die Öffnung von Kindertageseinrichtungen während der Corona-Krise. Epidemiologische, gesellschaftliche, wirtschaftliche, psychosoziale Argumente prallen aufeinander und sind scheinbar kaum in Einklang zu bringen.
Die Kitas stellen - neben der Familie - den zentralen Sozialisationsort für Kinder dar, für ihre geistige, soziale und psychische Entwicklung. Sie sind sowohl elementar für den Bildungserfolg von Kindern und gleichzeitig unverzichtbar für die Realisierung einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit auch von hoher Bedeutung im Hinblick auf gleichstellungsrelevante Aspekte.
Der Kontakt in den Einrichtungen mit vielen Kindern ist zweifellos ein Ort des Risikos für Kinder, die Familien und die Erzieher*innen – aktuell und auf bisher unbestimmte Zeit. Die mit der Öffnung der Kitas verbundenen Zielkonflikte sind nur mit klaren Prioritätensetzungen und Handlungskonzepten zu bewältigen, die in kurzen Abständen mit den insbesondere regionalen/lokalen epidemiologischen Entwicklungen abzugleichen sind, zu um zu erreichen, dass bei dem „Wagnis der Öffnung“
- die Schutzbedürfnisse der Fachkräfte,
- die Belastungen der Familien durch die Notwendigkeit die Kinderbetreuung mit der Erwerbstätigkeit zu vereinbaren und
- der Bedarf der Kinder nach sozialen Interaktionen mit anderen Kindern,
entsprechende Berücksichtigung finden.
Voraussetzung für eine Öffnung sind Rahmenbedingungen, Standards von Arbeits- und Betreuungspraktiken, die unter Gewährleistung des Arbeitsschutzes und im Hin-blick auf entwicklungspsychologische Faktoren entwickelt und realisiert sein müssen. Hierzu zählen:
- Festlegung von kleinen, festen Gruppen mit einem festen Betreuungstandem, damit mögliche Infektionsketten vermieden bzw. klein gehalten werden
- Festlegung von Bring- und Abholsituationen sowie der Kommunikation mit den Erziehungsberechtigten unter den vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen
- Keine Aufnahme von Kindern mit Krankheitsanzeichen oder Kontakt zu Er-krankten bzw. sofortige Isolierung bei ersten Anzeichen
- Festlegung und Einhaltung der Standards im Bereich Reinigung und Hygiene, die Einarbeitung hinsichtlich einer sachgerechten Herstellung von (Flächen-) Desinfektionsmitteln
- Die Umsetzung und Einübung der erforderlichen Schutz- und Hygieneregeln mit den betreuten Kindern (nach Alter orientiert)
Zu beachten sind bei der Wiederaufnahme der Betreuung in den Einrichtungen ins-besondere
- die räumlichen Bedingungen der Einrichtung inkl. Außenanlagen (Möglichkeiten für die Trennung von Gruppen, idealerweise getrennte Waschräume, geräumige Außenanlagen mit Trennmöglichkeiten)
- die Struktur des Teams unter Berücksichtigung des Alters, möglicher Vorerkrankungen und sonstiger einflussnehmender Faktoren.
Das bedeutet auch, dass je nach baulichen Voraussetzungen und Personalsituation einrichtungsspezifische Konzepte zu entwickeln sind. Diese müssen miteinander in Einklang gebracht werden. Dies hat in engem Zusammenwirken mit der kommunalen Einrichtungsaufsicht zu geschehen.
Für einen erweiterten Betreuungsanspruch sind klare Kriterien erforderlich. Klare Normen wie Systemrelevanz oder kindeswohlrelevante Familiensituationen sind für einen gestaffelten prioritären Anspruch auf eine Betreuung notwendig. Das darf nicht den Kita-Leitungen überlassen werden. Dennoch muss bei der (schritt- und teilweisen) Öffnung der Kindertageseinrichtungen auch die individuelle Situation von Familien berücksichtigt werden. Nicht alle familiären Belastungen oder schwierigen Lebenssituationen lassen sich anhand objektivierbarer Faktoren ablesen.
Eltern sind als Partner in die Konzepte soweit wie möglich einzubeziehen, um die bestehenden Kapazitäten und individuellen Bedarfe bestmöglich zusammen-zubringen. Das erfordert sowohl den aktiven Kontakt der Einrichtung mit den Eltern als auch die Bereitschaft zu flexiblen unkonventionellen Lösungen wie z.B.:
- wechselnde Betreuungszeiten von kleinen und gleichbleibenden Gruppen (z.B. bestimmte Vor- oder Nachmittage in der Woche)
- ein gestufter Wiedereinstieg für die Kinder nach transparenten Kriterien
- Betreuung bzw. pädagogische Angebote von kleinen festen Gruppen von einzelnen Erzieher*innen, z. B. auch denkbar im familiären Umfeld falls der Platz vorhanden ist
- eine verstärkte Kommunikation des pädagogischen Personals einer Einrichtung mit den Familien via Telefon und Internet. Gerade hierfür könnten die
Fachkräfte zur Verfügung stehen, die aufgrund eigener Risiken nicht in der unmittelbaren Betreuung eingesetzt werden können.
In der Entwicklung der Öffnungskonzepte müssen auch die Perspektiven von Familien mit Kindern mit Behinderungen oder Grunderkrankungen unbedingt berücksichtigt werden, um Inklusion im Rahmen der Möglichkeiten sicherzustellen.
Eltern, die keinen Anspruch auf einen Betreuungsplatz haben oder dieser trotz An-spruch nicht realisiert werden kann, oder die aufgrund besonderer Risikofaktoren von zu Hause aus arbeiten und gleichzeitig die Kinderbetreuung übernehmen müssen, benötigen eine Kompensation in Form von Zeit oder Geld, um existenzbedrohenden Situationen oder persönlichem Ausbrennen zu begegnen. Eine finanzielle Unterstützung wie ein „Corona-Elterngeld“ oder zusätzliche Zeitguthaben bei vollem Lohnaus-gleich sind hier anzustreben.
Sobald ausreichende Testungen möglich sind, sind diese bevorzugt mindestens wöchentlich bei den Fachkräften durchzuführen.
Wenn wir also die Erzieher*innen in den Einrichtungen trotz der widrigen Umstände so gut wie möglich schützen, die Eltern der Kinder weiterhin verantwortungsvoll mit den erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen umgehen, dann können die unterschiedlichen Perspektiven miteinander in Einklang gebracht werden und der Rechtsanspruch – zumindest in eingeschränkter Weise – realisiert werden.
Präsidium und Bundesvorstand der Arbeiterwohlfahrt
23.04.2020
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